Bei der diesjährigen bga-Fachtagung „Digitalisierung: Gründerinnen zwischen Innovation und Wertewandel“ zeigte sich einmal mehr: Frauen gründen anders und die typische Gründerin gibt es ebenso wenig wie den typischen Gründer. Und doch zeigen wissenschaftliche Untersuchungen genderspezifische Unterschiede z. B. bei der Motivation zu gründen.

Prof. Dr. Martina Schraudner, Gründungsstrategien von Frauen, bga-Tagung Berlin 2019

Purpose vor Profit

Wie Prof. Dr. Martina Schraudner, Leiterin des Fraunhofer Center für Responsible Research and Innovation und Vorstand von acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) in Ihrer Key-Note zeigte, gründen z. B. Wissenschaftlerinnen ihr eigenes Unternehmen, aus Unzufriedenheit über die Forschungsverwertung und aus dem Wunsch heraus die Welt zu verbessern. Während ihre männlichen Kollegen aus der Unzufriedenheit über ihre Arbeitsbedingungen und dem Wunsch von Ihrer eigenen Forschung zu profitieren gründen. Man kann sagen Frauen suchen einen höheren Zweck, männliche Motive sind egoistischer. Hinzu kommt, dass Frauen Risiko bewusster agieren als Männer. Ist das der Grund, warum nach wie vor so viel weniger Frauen als Männer den Weg in die Selbständigkeit wagen?

Nein, die Gründe sind wesentlich differenzierter. Das stellte sich in den 3 WorkingLabs, in denen gemeinsame Handlungsansätze zur Digitalisierung erarbeitet wurden, heraus. Noch sieht die Lebenswelt von Gründerinnen und solchen, die es vielleicht werden wollen, häufig anders als die von ihren männlichen Pendants aus – und das in jeder Altersgruppe. Es verwundert daher nicht, dass lt. IfM (Institut für Mittelstandsforschung Bonn) die von Frauen gegründeten Unternehmen teilweise andere Branchenschwerpunkte aufweisen als die von Männern gegründeten. Sie sind zumeist im Dienstleistungssektor angesiedelt. Dieses Bild zeigt sich auch im internationalen Vergleich, am Anteil von Frauen in Social und Commercial Entrepreneurship, wie Prof. Schraudner zeigte.

Prof. Dr. Martina Schraudner, bga-Tagung Berlin 2019

Lt. IfM sind Frauen im Bereich der freiberuflichen Gründungen sogar leicht überrepräsentiert. Qualitative Unterschiede im Hinblick auf Größe und Innovationspotenzial bestehen zwischen von Frauen und Männern gegründeten gewerblichen Einzelunternehmen kaum (mehr). Und trotzdem Gründen so wenige Frauen insgesamt – Tendenz fallend.

Dr. Friederike Gerstenberg hat die Lebenswirklichkeit von Frau in einem Beitrag „Vom Lean-Geist zum New-Work-Geist“ bei EDITION F auf den Punkt gebracht. Die Wirtschaft/Arbeitswelt ist nach wie vor von männlichen Bedürfnissen geprägt. Es fehlt Gleichberechtigung und (männliche) Empathie für die Lasten und Bedürfnisse von Frauen und damit auch für Gründerinnen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel und diesen nicht nur für uns Frauen sondern für uns alle – die Gesellschaft.

Kinder, Pflege, psychische Gesundheit – die Arbeitswelt braucht einen Paradigmenwechsel

Gründerinnen verstehen – Potential heben

Ein wesentlicher Faktor für die verhaltene Gründungsneigung von Frauen scheint neben dem Risikobewusstsein die Zeit zu sein. Zeit, die Mensch bereit ist in seine/ihre Gründung zu investieren. Frau ist eben nicht nur Frau und Gründerin/Unternehmerin, Frau ist zusätzlich häufig auch Mutter und Tochter und (Lebens-)Partnerin, selbst wenn sie keine Kinder hat und alleinstehend ist. Rollen, die Frau z. B. mit einem Unternehmerinnen-16-Stunden-Tag nicht in Einklang bringen kann und mag. Hier spielen die Motive Verantwortung (der eigenen Familie gegenüber) und Purpose wieder eine zentrale Rolle.

Der 16-Stunden-Tag, kein vernünftiges Sozialleben und Fokus auf das Finanzielle, das ist das Bild, das männliche Unternehmer häufig abgeben. Dieses Bild schreckt eher ab, als dass es Frau motiviert. Umgekehrt berichten immer wieder Frauen von Beratern und Entscheidern (z. B. bei Kreditanträgen) entweder abgelehnt und/oder belächelt zu werden. Nämlich dann, wenn die weiblichen Gründungsvorhaben nach typisch männlichen Schwerpunkten bewertet werden, wie Skalierbarkeit und Umsatzgröße. Diese Gründerinnen wünschen sich eine andere Ansprache und Empathie für die Gründe ihrer Entscheidungen. Warum möchte die Gründerin erstmal nur im Nebenerwerb gründen? Warum möchte die Gründerin nicht mehr in ihr Business investieren, nicht skalieren? Frauen setzen z. B. eher auf langsames und nachhaltiges Wachstum und der Erfolg gibt ihnen Recht. Technologieunternehmen in Frauenbesitz weisen niedrigere Insolvenzraten auf und Frauen verfolgen häufiger ein langsameres Unternehmenswachstum zur Sicherung der Arbeitsplätze, wie Studien zeigen. Entscheidungsträger bei Banken, Behörden, Kammern, müssen sich dieser Unterschiede bewusst sein. Dazu müssen sie sie kennen, akzeptieren, thematisieren und ihre Mitarbeiter schulen. Nur sensibilisierte Entscheider können objektive Entscheidungen treffen und so das Potential von Frauen heben.

Rollenvorbilder gesucht

Hinzu kommt mangelnde Sichtbarkeit von Gründerinnen, Geschäftsfrauen. Dadurch fehlen Rollenvorbilder, mit denen sich Mädchen und junge Frauen identifizieren können und die Lust auf eigene unternehmerische Erfahrungen machen. Das erscheint mir paradox – gerade in Zeiten von Social Media. Und sind Frauen nicht per se kommunikativer als Männer? Spannende und höchst erfolgreiche Unternehmerinnen-Geschichten gibt es genug zu erzählen, wie die beim Interview mit den Female Digital Entrepreneurs: Ob Vertrieb von hoch spezialisierten digitalen Hörgeräten oder die innovative Entwicklung eines Gaming-Device (VR-Sickness Avoider) durch eine ehemalige Stipendiatin von Google Woman Techmakers und heutige Spieleentwicklerin oder Franchise-Nehmerin und Managerin von Sportclubs nur für Frauen. Frauen gründen alle Arten von Unternehmen und sind in allen Branchen zuhause.

Frauen gründen anders